

Der Alltag mit Kindern ist wunderbar und herausfordernd – und manchmal beides gleichzeitig. Auf dem Evangelischen Campus Daniel berät Diplom-Pädagogin Martina Rohrbach Eltern in Fragen rund um Familienleben und Erziehung. Dieser Themenfundus und persönliche Beobachtungen sind die Inspiration für ihren wöchentlichen Blog „Familiensinn“.
Blog 34 – Kopf oder Kragen
Ich sprach neulich mit einem Paar, Lehrerin und Lehrer, das sich entzweit hatte, weil es sehr unterschiedliche Einstellungen zum Corona-Virus hat. Die eine Seite akzeptiert trotz deutlicher Kritik die Maßnahmen und geht ordentlich mit ihnen um, ohne sich ständig aufzuregen. Die andere Seite gehört eher zu den sogenannten Leugnern, sieht das Virus als nicht so gefährlich an und findet die Maßnahmen völlig überzogen und zum Teil übertrieben. Das bringt Stress ins Wohnzimmer!
Natürlich hat jeder Mensch die Freiheit, eine Meinung zu haben; aber seien wir ehrlich: Als Laien können wir gar nicht umfassend beurteilen, was richtiges und falsches Handeln ist, wenn auch sogenannte Fachleute nicht über abschließendes Wissen verfügen können.
Ich fragte, welche Themen denn ganz konkret zu den Auseinandersetzungen führen. Es ging einmal quer durch die ganze Politik. Ich fragte weiter, ob sie das aus den Zeiten vor Corona kennen. Kräftiges Nicken und leises Grinsen von beiden. – Aber dieses Mal sei es wirklich schlimm!
Das Thema ist aus meiner Perspektive betrachtet, wie wir unsere neue Realität verarbeiten und bewusst gestalten können. Einige fürchten zunehmend, dass die Einschränkung der Grundrechte unsere Demokratie in die falsche Richtung führen wird. Langsam sinken die Inzidenzwerte, aber nun stehen die Mutanten wie Schreckgespenster am Horizont und fressen die Zeit bis zu einer Entlastung.
In unserer gesellschaftlichen Kultur gelten Leib und Leben in Form von Gesundheit als das höchste Gut – und zwar unabhängig vom Alter und sozialen Status. Ein kaputtgespartes und profitorientiertes Gesundheits- und Pflegesystem hat in unserem Land aber dazu geführt, dass zwar materielle Voraussetzungen vorhanden sind, aber die Arbeitskräfte fehlen. Das sind die neuen Parameter, wenn die Ethik zwar stimmt, aber das Geld regiert! Persönliche Freiheit und das Recht auf Leben in jedem Alter dürfen bei uns aber nicht in Widerspruch geraten.
Ich glaube, fast alle sind sich einig, dass niemand einsam erstickend sein Leben beenden möchte, egal, wie alt man ist und wo man lebt. Es war also zu keiner Zeit eine Option, die Evolution ihr Werk tun und Menschen einfach sterben zu lassen wie in einem Krieg.
Ist die aktuelle Situation allein durch das Virus begründet oder wird jetzt nur sichtbarer, was bei uns schon lange falsch läuft? So wie sich in der Auseinandersetzung meines Paares im Grunde nichts Neues zeigt, sondern nur das Thema so herausfordernd neu ist.
Ich wünsche mir mutige, verantwortungsbewusste, und vor allem vernetzt denkende Politiker*innen, die sich trauen, gesetzliche Grundlagen für mehr Gerechtigkeit zu schaffen. Das hieße auch, dass der Lobbyismus aus der Politik herausgehalten werden müsste.
Nicht nur im Rahmen der Pandemie-Bekämpfung wäre in meinen Augen zuerst der Bildungsbereich mit allen Konsequenzen ganz oben auf der Prioritätenliste. In unserem Land herrscht ein Bild vom Kind, das in keinem Verhältnis zu den propagierten Bildungsstandards und Anforderungen an die Praxis steht. Insbesondere in Berlin (sicher auch in anderen Bundesländern) sind die Verhältnisse wirklich niederschmetternd, wenn ich das mal so ehrlich sagen darf.
Schnelltests, Impfungen, Luftreiniger, freie Räumlichkeiten, bezahlte interessierte Menschen, z.B. für Lernbegleitung, Sportler*innen, Künstler*innen, Gastronomen für einen Mittagstisch: Alles, was da ist, kann und muss eingesetzt werden, damit die Schäden bei den Kindern nicht zu groß werden. Kleine Gruppen und Klassen sollten wieder die Norm werden, damit Kinder besser wahrgenommen und angemessen lernen können. Dann bekäme auch Inklusion wieder eine Bedeutung.
Die Schulkinder brauchen nicht den Lernstoff in teilweise völlig unbrauchbarer Form von digital schlecht fortgebildeten Lehrer*innen, sondern die sozialen Kontakte! Sie brauchen andere Erwachsene außerhalb der Familie, um dem Stress zu Hause zu entgehen. Sie brauchen kluge Konzepte, um die Zeit überbrücken zu können, in der die „großen Menschen“ den ganzen Laden hier am Laufen halten müssen.
Übrigens war sich das zerstrittene Paar sehr einig über die Themen, die sie hinter Corona wirklich beschäftigen. Sie mussten nur eine Sprache zu dieser neuen belastenden Situation finden.
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